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Das Haus Kiene



Ein Beitrag zur Familiengeschichte, von Oberlehrer L[ohr] in K[ißlegg]i

Am heurigen 24. September [1929] waren es 10 Jahre, dass der letzte Justizminister unseres ehem. Königreichs Württemberg, Dr. jur. utr. Johannes Baptist von Kiene im Bezirkskrankenhaus zu Wangen i. A. sein verdienstvolles Leben im Tode abschliessen musste.

Wir wollen uns mit dem Geschlechte Kiene beschäftigen, d. h. mit einigen Vertretern, vornehmlich in Schwaben, Vorarlberg und Baden: Zu Leupolz treibt die sog. "untere Wirtschaft" zur "Sonne" Josef Kiene. Seine Schwester ist Frau Alt-Vatikanwirt Anna Stauber in Wangen. In erstgenanntem Gasthaus ward vorher geboren als Vetter des jetzigen Besitzers auch ein Josef Kiene, lange Kutscher in der Schweiz. Daselbst verheiratete er sich mit der Köchin Graf aus Wurzachii. 1850 erwarb er von Pfanneriii die Wirtschaft zur "Strassburg", südlich von Kisslegg gelegen. 1854 am Mittfastenmarkt brannte diese ab, 1862 gestand ein "Rumziehender", den Brand gelegt zu haben, "um den Marktleuten eine Freude zu machen". (Die Strasswirtin erlebte die Aufklärung nimmer, 1860 war sie gestorben.) Tochter Johanna war 1851 geboren, die, 1878 Kutscher Kolb von Merazhofen heiratend, auf der Heimat Strassburg verblieb.

Gasthaus Strassburg
Gasthaus zur Straßburg bei Kißlegg. Alte Ansichtskarte.

Sohn Xaver kam 1852 zur Welt. Dieser war Bäcker in Vorarlberg und starb 1909 als Wirt zum "Hohen Freschen" in Rankweil. Tochter Therese, geb.1854, erblickte in der Notwohnung zu Unterhaid das Weltlicht. Sie weilte zu St.Gallen. In Kisslegg wohnen noch 2 Söhne: Meinrad, geb. 1856, er wirkte 31 Jahre lang als Polizei- und Amtsdiener der Gemeinde Sommersried, der ausgedehntesten Markung im Oberamt Wangen mit 3581 ha. An seiner auffallend schmucken Dienstuniform musste stets alles in militärischer Pünktlichkeit sitzen. Sein diensteifriges, freundliches Wesen schaffte ihm Verehrung und allge­meine Hochachtung. Wir wünschen dem seit 1. April 1929 in Ruhestand Befind­lichen langen und gesunden Lebensabend, den er wohl verpflegt bei Tochter und Schwiegersohn Sauerwein verbringt.iv Andreas, der jüngere Bruder, geb. 1857, betätigte sich äusserst arbeitsam im Pfänderschen Sägwerk,solang es seine gesundheitlichen Verhältnisse zuliessen. Er geniesst gleichfalls verdientes Ansehen. Möge sein leidender Zustand sich baldigst heben! Von beiden Kisslegger Kiene erfreut sich jeder einer zahlreichen Kinderschar: Meinrad, dreizehn (10 Mädchen, 3 Knaben), Andreas 8, darunter 5 Mädchen. Alle diese Kinder sind versorgt, zum Teil sehr gut und bringen ihren be­tagten Eltern Liebe und Dank entgegen. (Leider entriss vor 25 Jahren der unerbittliche Tod im Heuet plötzlich Meinrads Frau, eine geb. Gapp von Oberweiler bei Leupolz. An der Strasse bei Schurtannen meldet ein Marterl „unweit dieser Stelle starb am 14. Juni 1904 Walburg Kiene von Schurtannen im 43. Lebensjahr an einem Schlaganfall".)

FX Kiene
Franz Xaver Kiene (1852 - 1909)
Gastwirt zum "Hohen Freschen"
in Rankweil, Vorarlberg.
Aufnahme vom Sterbebildchen.

Bei Amtzell sassen seit der 2.Hälfte des 17. Jahrhunderts auf Hof Altböse vier Kiene nacheinander: Michael, Josef, Gebhard, Anton. Die letzten, Vater und Sohn, betrieben - vermutlich seit etwa 1770, den Orgelbau für die umliegenden Dorfkirchen. Anton Kiene heiratete 1808 nach Kisslegg, den Bau von Orgeln weiterführend. (Hinterm Gasthaus zum "Ochsen" soll er seine Orgelbauanstalt gehabt haben. Wir nehmen an im Kollros'schen Hause, vormals Sattler Weiland gehörig, hintere Schloss­strasse 25. Die 1927 abgebrochene alte Kisslegger Kirchenorgel trug die Firma ihres Erbauers: J. A. Kiene 1821.) Nach 20 Jahren, 1828, verlegte Anton Kiene sein Geschäft in das von ihm käuflich erworbene ehemalige Kaplaneihaus in Langenargen, nächst des Friedhofs, woselbst er 1847 starb. Sein einziger Sohn, Johann Nepomuk, ebenfalls Orgelbaumeister, hochge­bildet, geistvoll, tief religiös, gelang es, das Gebiet um das Schwäbische Meer, also auch die Schweiz, mit Kirchenorgeln zu beliefern. Vielfach sei er angegangen worden, solide Altwerke zweckdienlich zu erneuern. 36 jährig hatte er sich in zweiter Ehe mit Maria Wocher von Langenargen 1848 ver­mählt. (1902 starb der rüstige Greis fast 91 Jahre alt.) Aus dieser Ehe wurde ihnen im mütterlichen Hause am 22. Januar 1852 der Sohn Johannes geboren, der Minister.

Aus unserm Gedächtnis schöpfend, mündlichen Mitteilungen zufolge, dem Sonderabdruck aus dem Württbg. Nekrologe von Regierungsrat Dr. Müller, enthalten im hochbedeutsamen, modern ausgestatteten Heimatbuche "Die Geschichte von Langenargen und des Hauses Montfort" von Johann B. Kichler, Oberlehrer und in 2. umgearbeiteter und vermehrter Auflage von Hermann Eggart, Pfarrer, beide in Langenargen, entnehmen wir Vorfahren, Lebenslauf und Bedeutung des berühmtesten Kiene. Der talentierte, anstelli­ge Volksschüler kam in die Lateinschule des Zisterzienserklosters Mehrerau bei Bregenz, sodann in welche des Benediktinerstifts Einsiedeln. Ab Herbst 1868 besuchte er als Konviktor von Rottweil das dortige Obergymnasium. (Die Verdienste des damaligen Pfarrherren von Langenargen, des in Haslach ver­storbenen Dekans Wiehl um den Studenten sollen dankbar erwähnt werden.) In Tübingen studierte Kiene Philosophie, in Freiburg i. Br. und in Tübingen Rechtswissenschaft. 1875 erhielt er in Freiburg für Lösung der juristischen Preisfrage den Preis und 1878 den Doktorgrad. Er wurde im selben Jahr Justizassessor im Filstal, zu Göppingen und Geislingen, 1881 Staatsanwalt in Ellwangen, 1886 Landrichter in Hall, 1894 Landgerichtsrat in Ravensburg. Dr. Kiene vermählte sich mit einer Tochter des dortigen, von Jettenhausen bei Friedrichshafen gebürtigen, Rechtsanwalts Schneider, einer Schwester der noch lebenden, bekannten Dichterin Thekla Schneider. 1900 Oberlandes­gerichtsrat in Stuttgart, Mitglied der Kaiserlichen Disziplinarkammer, des Kompetenzgerichtshofes, des Disziplinarhofes für Körperschaftsbeamte, seit 9. Februar 1894 Landtagsabgeordneter für den Oberamtsbezirk Ehingen bis zum Ende des alten Landtags im November 1918. 1895 Mitbegründer der Württ. Zentrumspartei und 1. Vizepräsident des Landtags, seitdem auch Mit­glied des Engeren ständigen Ausschusses und wichtiger Kommissionen, Referent über das Eisenbahnwesen und die Dampfschiffahrt, seit 1897 Vorsitzender des Finanzausschusses. In der Kammer war Kiene neben Gröber Sprecher der Fraktion, betreffend grundsätzliche Erklärungen, ihr Hauptredner aber bei den allgemeinen Beratungen über den Staatshaushaltplan. Seine Sprechweise zeichnete sich aus durch scharfe Logik und klare Gediegenheit. Neben der ausgedehnten politischen Tätigkeit blieb er Mitarbeiter an juristischen Fachschriften und fruchtbarer Schriftsteller. 

JB Kiene
Dr. Johannes Baptist von Kiene (1852 - 1919),
letzter Justizminister des Königreichs Württemberg.
Abbildung aus: "Die Geschichte von Langenargen und des Hauses Montfort" von J. B. von Kichler u. Hermann Eggart, Friedrichshafen 1926.

Sein verdienstvolles Wirken als Jurist und Politiker fand an höchster Stelle Würdigung durch Verleihung des Titels Senatspräsident (1912), durch Übertragen der Stelle eines Generalstaatsanwalts (1915), durch Verleihung hoher Orden: Ehrenkreuz des Ordens der Württbg. Krone, persönl. Adel (1901), Kommenturkreuz 2.Klasse des Friedrichordens (1906), Kommenturkreuz des Kronenordens (1910), Kommenturkreuz I. Klasse des Friedrichordens (1914), 1918 übernahm v. Kiene das Verkehrsministerium und am 11. November das Justizministerium. Am folgenden Umsturz litt der erprobte Beamte und Volksführer seelisch sehr schwer. Ein nicht kleines Verdienst, dass Württemberg wie Baden ohne ernstliche Erschütterungen, grössere Verluste an Menschenleben und Schäden an Volksvermögen sein Staatsschiff durch die revolutionären Bewegungen hindurchbringen konnte, hat die ruhig-stete, besonnene Natur dieses Mannes sich erworben. Seine erschütterte Gesundheit stellte selbst die Allgäuluft nimmer her. Seinem arbeits- und segensreichen Leben hat der Tod am 24.September 1919 in Wangen ein Ende gesetzt. Die Beisetzung des Justizministers auf dem Gottesacker seiner Heimatgemeinde Langenargen, Sonntag den 28. September, gestaltete sich zu einer letzten grossartigen Ehrenkundgebung für den Entschlafenen. Rechts vom Eingang des Friedhofes, wenige Schritte von dem elterlichen Heim, deckt ein schlichtes, aber würdiges Denkmal die Überreste des bedeutenden Sohnes seiner Heimatgemeinde.

Über die Leistungsfähigkeit der Orgelbauanstalt Langenargen erfahren wir an anderer Stelle der genannten Heimschrift: Von 1852 bis 1883 schuf Joh. Nep. Kiene 32 neue Orgelwerke, führte 14 grosse Reparaturen aus, darunter den Umbau des grossen Orgelwerkes in Einsiedeln - bis vor 1 1/4 Jahrzehnt noch im Gebrauch befindlich. Dessen Sohn Anton verlegte das Geschäft nach Waldkirch in Baden. Ob es dort als solches weiterbesteht, ob überhaupt der Namen Kiene dort noch besteht, wissen wir nicht.v Kiene'sche Abkömmlinge gibt es zu Langenargen. In Vorarlberg sind uns die aus Kisslegg bzw. Leupolz stammenden Kiene bekannt, die schon angeführte Familie in Rankweil und Buchbindermeister Kiene-Feldkirch, Sohn des hiesigen Andreas Kiene. Weitere österreichische Kiene kennen wir nicht.

i Der Aufsatz von Oberlehrer Viktor Lohr aus Kißlegg ist als Zeitungsausschnitt überliefert und erschien im Jahr 1929 vermutlich im „Argenbote“, Wangen.

ii Laut Familienregister der Gemeinde Sommersried, Band I, Bl. 43 [Gemeindearchiv Kißlegg], hieß die erste Frau des Josef Kiene nicht Graf, sondern M. Josepha Engler (aus Wurzach).

iii Gebhard Pfanner, Besitzer der "Straßburg" von 1845-1852.

iv Meinrad Kiene, Polizeidiener der Gemeinde Sommersried, verstarb am 20. Nov. 1941 in Kißlegg.

v Ein Enkel des letzten Kiene betreibt heute wieder eine Orgelbauwerkstatt in Waldkirch.

 
 
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