Spitalkirche
innen restauriert – Blick in die Geschichte
Schwäbische
Zeitung vom 14.04.1990
Mit
den Prädikaten
„unscheinbar
und ziemlich finster” zeichnete der Kißlegger
Chronist Michael Grimm im Jahre 1864
die zum Heilig-Geist-Hospital
in Kißlegg
gehörige
Kapelle aus.i
Spätestens
seit der jüngsten
Innenrestaurierung
der Hauskapelle, die Ende letzten Jahres [1989] von der Heimleitung
veranlasst
worden war, erscheint
diese Beurteilung nicht mehr angemessen; seither
kommen nämlich
die vielen Kunstwerke wieder voll zur Geltung und geben dem
schlichten Raum eine ansprechende Atmosphäre.
Grund genug, einen Blick auf die wechselvolle Geschichte der
Spitalkirche zu werfen!
Die
erste Kapelle entstand, wie das gesamte Spitalanwesen, in den Jahren
1574 und 1575 unter dem damaligen Kißlegger Herren Hans Ulrich von
Schellenberg. Dem ältesten Stich Kißleggs (1699) zufolge handelte
es sich ursprünglich nur um einen kleinen Anbau am
Spital-Wohngebäude. Das kleine Glockentürmchen befand sich noch auf
dem Wohnhaus. Am 12. September 1575 wurde die Kapelle geweiht und
gleichzeitig die Spitalstiftung mit ihren Gütern und Rechten
beurkundet.ii
129 Jahre später, am 23. April 1704, fiel beim letzten Großbrand in
Kißlegg auch das Spital samt der Kapelle dem Feuer zum Opfer.
Freiherr Franz Christoph, der letzte von Schellenberg-Kißlegg, ließ
die Anlage auf eigene Kosten wieder aufbauen.iii
Das Heilig-Geist-Hospital mit Spitalkapelle im Jahr 1699, noch vor dem
großen Brand von 1704. Das hohe Gebäude im Hintergrund ist
das Trauchburgische Schloss.
Ausschnitt aus einem Kupferstich von Wolf Philip Kilian, nach Johann Mayer, Kempten (Pfarrarchiv Kißlegg)
Spitalkirche
zum Heiligen Geist
(Foto: tw 09/2023)
Die
Ausgestaltung der neuen Spitalkirche, die wie die alte Kapelle
östlich
an die Giebelseite des Spitals anschließt
und im Grundriss
ein an der Spitze abgestumpftes spitzwinkliges Dreieck bildet,
zögerte
sich noch beinahe zwei Jahrzehnte hinaus. 1709 malte Leopold
Greissing aus Bregenz das Altarblatt mit dem Pfingstereignis. Das am
linken unteren Bildrand befindliche Schellenbergische Doppelwappen
(Ehewappen) deutet auf den Wiedererbauer des Spitals, Franz Christoph
von Schellenberg, und seine Frau und Cousine Maria Anna Renata von
Schellenberg hin. 1711 fasste
Schreiner Bartholome Law "zwei
Tafeln"
und Schreiner Sautter den Altarstock. 1722/23 wurde das Holz am
Hochaltar marmoriert und vergoldet. Seitlich neben dem ursprünglichen
Tabernakel wurden zwei Reliquiare aufgestellt, wahrend um das
Altarblatt ein reicher vergoldeter Rahmen (durchbrochener Akanthus)
mit zwei Schellenbergischen Wappen (Franz
Christoph und Maria Anna Renata von Schellenberg) und
vier Engelskindern angebracht wurde, der oben vor einem
Fensterdurchbruch die Taube des Hl. Geistes einschließt.
Altarraum und Hochaltar der Spitalkirche Heilig Geist in Kißlegg.
Aufnahmen von 1995
Fotos: Walter Martin +
Diese
Taube, die Figuren des hl. Johannes Nepomuk und des hl. Franziskus zu
Seiten
des Hochaltars sowie das Chorbogenkreuz werden der Ruez-Werkstätte
zugeschrieben. 1717/18 schuf ein Bildhauer noch sechs Engelskopfe für
die Kanzel - diese ist jedoch nicht mehr vorhanden. Das noch
frühbarock
anmutende Chorgestühl
dürfte
ebenfalls in jener Zeit entstanden sein.Vielleicht
noch aus der alten Kapelle stammen das Holzbildwerk „Tod Mariens”
(um 1460/70 entstanden) an der Südwand,
ein Gemälde
von 1642 mit der Marienkrönung
über
einer Landschaft, die überlebensgroßen
Bildnisse der Stifter
Hans Ulrich von Schellenberg und Anna von Weiler-Altenburg sowie die
Figur des hl. Sebastian (um 1600).iv
1715
lieferte der Steinmetz zwei steinerne Stürze und Tritte für die
Kirche; außerdem waren in diesem und im folgenden Jahr noch Maurer
und Schreiner in der Spitalkirche tätig.v
1723
schließlich konnte die Kapelle geweiht werden. Zu diesem Anlass
besuchte am 12. und 13. September des Jahres der Weihbischof und
Generalvikar des Bistums Konstanz, Franz Johann Anton von
Sirgenstein, den Marktflecken Kißlegg. Am ersten Besuchstag wurde
die St. Anna-Kapelle beim Friedhof, am folgenden Tag die
Spitalkapelle zum Heiligen Geist geweiht. Der Altar wurde zu Ehren
der Heiligen Ulrich, Franziskus, Christophorus, Renata, Theresia,
Ottilia und Anna konsekriert. Außerdem nutzte die Herrschaft die
Gelegenheit und ließ ihren Sohn Graf Carl Eberhard von Wolfegg vom
Weihbischof firmen. An den mit den Einweihungsfeierlichkeiten
verbundenen Kosten von 100 Gulden musste sich das Spital mit 30
Gulden beteiligen.vi
1882
wurde eine neuer Kreuzweg errichtetvii;
er befindet sich seit der in den Jahren 1969 und 1970 erfolgten
Restaurierung an der Rückwand der Empore. Im Zuge der Erweiterung
des Spitals wurde 1969/70 auch der Hochaltar samt Altarblatt
renoviert und der Tabernakel wegen seiner stilistisch nicht passenden
Türen (aus dem 19. Jahrhundert) in die rechte Seitenwand verlegt.
Die
jüngst
abgeschlossene Innenrenovierung (November/Dezember 1989) beinhaltete
zunächst
die Erneuerung der Elektroinstallation,
den Einbau einer Alarmanlage und die teilweise Erneuerung
des Innenputzes. Der Raum wurde geweißelt,
das Gestühl
ausgebessert und gestrichen sowie der Hochaltar gereinigt und
aufgefrischt. Eine gründliche
Restauration erfuhren das Holzbildwerk „Tod Mariens” und die
Figur des hl. Sebastian. Bereits 1986 wurde ein Läutwerk
für
die Glocke im kleinen Spitaltürmchen
angeschafft. Die dringend notwendige Restaurierung
des Chorgestühls
steht noch aus.
Der
Bau einer zum Spital gehörigen
Kirche ist ganz im Zusammenhang mit dem Ziel zu sehen, das Hans
Ulrich von Schellenberg mit der Spitalstiftung überhaupt
verfolgte, nämlich
eine Einrichtung
„zuvorderst
der hailligen unzerthailten göttlichen
Dryfelttigkhait, auch der hochgelobten Kunigin unnd Junkhfrauen
Maria, der Muetter Gottes unnd allem himlischen Heer zu Lob, Ehr, und
Preiß,
unnd dann den armen dürfftigen
Christenmenschen zu Hilff unnd Trost" zu schaffen,
wie es in der Stiftungsurkunde heißt.viii
Diese christliche Zielsetzung zeigt sich beispielsweise
in der Weisung an den Spitalmeister, die Bewohner zu „römischer
appostolischer catholischer auch christenlicher Religion unnd
Tugenten" zu ermahnen sowie in der nicht ganz uneigennützigen
Verordnung eines täglichen
Rosenkranzgebetes der Bewohner für
die Stifterfamilie.
Ein
entscheidend wichtiges Element war für
die Stifter in dieser Hinsicht aber insbesondere die Übertragung
der geistlichen Betreuung der Bewohner auf einen bereits 1575 eigens
bestellten Hospitalkaplan, der seine Wohnung „in dem Spittal im
obern Stüblin
unnd Khamer jederzeit haben” sollte.Der
Spitalkaplan hatte gleichzeitig die St. Anna - Kapelle beim Friedhof,
die in Verbindung mit den Leprosen- oder Armenhäusern
zu St. Anna entstanden war, zu betreuen und wurde deshalb auch als
St. Anna-Kaplan bezeichnet.
Ein
weiterer Aufgabenbereich des Spitalkaplans war die Assistenz bei
Gottesdiensten
an Feiertagen bzw. bei Jahrtagsmessen in der Pfarrkirche St. Gallus.
Ein solcher Jahrtag, an dem der Kaplan beteiligt war, ist schon 1589
erwähnt.ix
Nach der Dienstinstruktion für
Kaplan Johann Baptist Baumann von 1759 musste
dieser an Sonn- und Feiertagen an allen Gottesdiensten in der
Pfarrkirche teilnehmen und während
des Hochamts die hl. Messe lesen. Außerdem
war er verpflichtet, in der Pfarrkirche die Beichte zu hören.x
Mit seinem Bärenweiler
Kollegen geriet der Kißlegger
Spitalkaplan im Jahre 1726 in Konflikt, als es um den Rang und den
Vortritt bei den Gottesdiensten in der Pfarrkirche ging.
Der
dritte Aufgabenbereich des Kaplans außerhalb des Spitals war seine
Verwendung als Hofkaplan im Schloss bei Anwesenheit der Herrschaft in
Kißlegg. Darüber kam es 1811 zum Streit zwischen der Herrschaft und
dem Kißlegger Pfarrer, weil die damals im Wolfegg’schen Schloss
lebende Witwe des letzten Grafen von Wolfegg-Wolfegg die Dienste des
Hospitalkaplans voll für sich beanspruchte und letzterer seinen
Verpflichtungen im Spital und in der Pfarrkirche nicht mehr
nachkommen konnte. Die Angelegenheit kam schließlich bis vor die
württembergische Regierung in Stuttgart.xi
Kapelle St. Anna beim Friedhof
Auch hier hatte der Spitalkaplan Gottesdienste zu feiern.
Die
Kapelle ist bereits 1586 erwähnt und wurde 1718-1719 von Johann
Georg Fischer, dem Baumeister des Neuen Schlosses und der
Pfarrkirche in Kißlegg, neu erbaut. Die Konsekration erfolgte am
12. September 1723, einen Tag vor der Konsekration der Spitalkirche.
Foto: tw (09/2023)
Die
Gottesdienste und Gebete in der Spitalkirche waren zum Teil schon als
Gegenleistungen für
Zustiftungen von Herrschaften in den Stiftungsurkunden
festgelegt worden, wie zum Beispiel das Rosenkranzgebet in der
Stiftungsurkunde des Spitals. Für
die Erteilung der Lizenz zum Lesen der hl. Messe in der Spitalkirche
musste
die Hospitalpflege noch um 1716 eine Gebühr
von 3 Gulden
20
Kreuzern an das Generalvikariat in Konstanz entrichten.xii
Nach der Instruktion von 1759
musste
der Kaplan wöchentlich
mindestens vier hl. Messen in der Spitalkirche lesen, wobei die
jeweilige Applikation genau festgelegt wurde. So war die Messe am
Montag für
die lebenden und verstorbenen Stifter und Guttäter
des Spitals zu lesen, während
in den „Quatemberzeiten” vier Mal für
die im laufenden und im vergangenen Jahr verstorbenen Bewohner
appliziert werden musste.
Für
die Messe sollte jedes Mal „mit der ordentlichen Gloggen vorhero
und bei dem Anfang das Zeichen” gegeben
werden, „damit auch Auswärtige
die hl. Meß
nach Eyfer und Belieben anhören”
konnten. Zwei Knaben, die im Spital mit „Speiß
und Beherbergung” unterhalten wurden, waren für
die Kirchenmusik und das Ministrieren zuständig.xiii
Eine besondere Festlichkeit war das Kirchweihfest des Spitals, das
seit
der Festlegung anlässlich der Konsekration im Jahr 1723 jährlich
am Pfingstmontag abgehalten wurde. Zum feierlichen Gottesdienst sang
der Kißlegger
Schulmeister und Mesner mit seinen Schülern.xiv
Neben
der Messfeier
gehörte
zu den Hauptaufgaben des Kaplans im Spital die Teilnahme bei den
verordneten täglichen
Gebeten, die er auch beaufsichtigen
musste,
sowie die Unterweisung der Bewohner in Glaubensfragen. Den Kranken
sollte
er die heiligen Sakramente spenden und den Sterbenden „letzten
Seelentrost”
geben.
Im
Januar 1818 verstarb der letzte Spitalkaplan Anton Eisenbarth. Die
Spitalkaplanei blieb nach seinem Tode unbesetzt und wurde später
als
entbehrliche Kirchenstelle eingestuft. Schließlich
wurde sie 1917 aus der Liste der vakanten Stellen gestrichen und
somit faktisch aufgelöst.
Ein Teil des Gehalts des Kaplans wurde ab 1820 an den Pfarrer von
Kißlegg
zur Besoldung eines Hilfspriesters (Vikars) unter der Bedingung
abgetreten, dass
die
früher
vorgeschriebenen Messen in der Spitalkirche insbesondere wegen den
betagten und gebrechlichen "Hospitaliten",
die dem Gottesdienst in der Pfarrkirche nicht beiwohnen konnten,
wieder gelesen wurden. Der Beitrag wurde jedoch wieder gestrichen,
nachdem der Pfarrer wegen Priestermangels keinen Vikar mehr erhielt.
Der Pfarrer übernahm
nun selbst die Pastoration der kranken Spitalpfründner;
in der Spitalkirche fand jedoch nur noch selten eine Messe statt. So
fielen auch die vorgeschriebenen Messintentionen
der Sitfter weg.
Dieser
Zustand änderte
sich auch in den folgenden Jahrzehnten nicht. 1856 beklagte
Ortspfarrer Lemmenmeier die Nachteile für
die Hospitaliten, „welchen die geistliche Leitung bei den täglichen
Gebeten, die ständige
Überwachung
ihrer Sittlichkeit, der zusammenhängende
Standesunterricht, die bequeme Anhörung
der hl. Messe in den Tagen ihrer Kränklichkeit,
die den Bedürfnissen
des Alters und der Schwäche
entsprechende frequentatio sacramentorum, die öfteren
Tröstungen
am Sterbebett abgehen”. Die Bemühungen
des Pfarrers um eine Reorganisation der Kaplanei wurden jedoch vom
Fürsten
und vom Kath. Kirchenrat unter Hinweis auf die schwierige Finanzlage
der Hospitalpflege nach der Ablösung
zurückgewiesen.
Die
Situation änderte
sich erst 1864, als Barmherzige Schwestern die Betreuung der
Spitalbewohner übernahmen.
Auf Wunsch der Schwestern wurde die Aufbewahrung des Allerheiligsten
in der Spitalkirche genehmigt, womit die Zelebration einer hl. Messe
alle vier bis sechs Wochen verbunden war.xv
Später
wurde dann die Regelung getroffen, daß
möglichst
ein pensionierter Geistlicher im Spital wohnen sollte, der Messen
lesen und die Pastoration im Haus übernehmen
konnte. Heute [1990]
betreut
Pfarrer i.R. Marzell Kling die kath. Bewohner des Altenheims. Der
Mesner- und Lektorendienst liegt in den Händen
der rüstigen
Heimbewohnerin Frau Widmann. Die kleine Orgel auf der Empore spielt
Altbürgermeister
Stephan Müller.
Bleibt
noch, einen Blick auf die Bedeutung der Spitalkirche für
die Kißlegger
Kirchengemeinde zu werfen. Da ist schon in der Kißlegger
Kirchenordnung von 1586 die Rede von der ersten Bittprozession am
Montag vor Christi Himmelfahrt, die über
die Kirche in Immenried, wo eine Messe gelesen, und die Kirche in
Rötsee,
in der ein Salve gesungen wurde, wieder zurückführte,
wo man „im Spital zue Kyßlegg
mit aim Veni Sancte einkhören”
sollte.xvi
Gemäß
der
Dienstinstruktion von 1759 waren schon damals Auswärtige
zum Besuch der Messe im Spital eingeladen, was bis heute praktiziert
wird. Außerdem
finden heute noch [1990]
die
monatlichen Friedensgebetstunden und die Weltgebetstage der Frauen
sowie manchmal Goldene Hochzeiten in der Spitalkirche statt. Im
Spitalhof versammelt sich alljährlich
am Palmsonntag die Pfarrgemeinde zur Palmweihe.
Thomas
Weiland
Anmerkungen:
i Grimm,
Michael: Versuch einer historisch-statistischen Beschreibung
Kißleggs samt seiner Umgebung. Kißlegg (im Selbstverlag) 1864.
Erweiterter Nachdruck Kißlegg (Heimatverein) 1994.
ii Gesamtarchiv
der Fürsten zu Waldburg-Wolfegg-Waldsee, WoKi U 638